Ein Grinsen aus dem Alptraum - Folge 1
by J. Gilbert
Was ist los, Schatz?
Meine Frau sieht mich über FaceTime an, ihre Stirn in Falten gelegt.
Sie ist umgeben von halb ausgepackten Kartons …
Und sie sieht so besorgt und erschöpft aus.
Ich wünschte einfach, du wärst hier.
Das neue Haus macht mir Angst.
Ich komm in ein paar Tagen von der Konferenz wieder.
Du weißt, dass ich lieber bei dir und Grace wäre.
Schläft sie schon?
Callie nickt.
Ich pass gerade mit der Sleepycam auf sie auf.
Sie hält ein Tablet hoch.
Es zeigt die Übertragung des Video-Babyphons unserer Tochter.
Ich sehe Grace in ihrem Kinderbett schlummern.
Du solltest auch ein bisschen schlafen.
Ich setz mich hin und guck Grace noch eine Weile zu.
Es ist echt schwer zu schlafen, wenn du nicht da bist.
Manchmal hör ich irgendwelche Dinge.
Besonders nachts.
Das neue Haus setzt sich noch, das ist alles.
Du gewöhnst dich bald dran.
Hoffentlich.
Versuch zu schlafen.
Eine Stunde später, ich bin gerade fast eingeschlafen …
Da ruft Callie mich noch mal über FaceTime an.
Jonathan! Ich hab was gesehen!
Sie hat ihre Augen aufgerissen, ihre Stimme klingt gedämpft und hektisch.
Ich bin sofort hellwach.
Was? Wo?
Auf der Sleepycam!
Ich hab Grace beobachtet und muss wohl eingenickt sein.
Als ich aufgewacht bin und wieder auf das Tablet geguckt hab …
Da … Da stand dieses DING im Zimmer von Grace!
Was?!
Als ich geblinzelt hab, war es weg …
Aber ich schwöre, dass ich es gesehen hab.
Ich seufze, während sich die Spannung in meinen Schultern löst.
Schatz, du hast geträumt.
Du weißt doch, dass du immer Alpträume hast, wenn du gestresst bist.
Aber ich hab es gesehen!
Ich geh nach Grace gucken.
Mit dem Handy in der Hand geht sie durch unser neues Haus …
Auf dem Weg macht sie jedes Licht an.
Sie sieht ins dunkle Kinderzimmer unserer Tochter.
Siehst du was?
Sie guckt auf ihr Handy und schüttelt langsam den Kopf.
Na siehst du.
Es war nur ein Traum.
Schlaf ein bisschen und morgen früh geht’s dir besser.
Ich kann heute Nacht unmöglich schlafen.
Versuch’s einfach.
Ich stöhne, als mich der nächste FaceTime-Anruf aufweckt.
Natürlich ist es wieder Callie.
Sie ist atemlos vor Panik.
Ich hab es wieder auf der Sleepycam gesehen!
Es ist aus dem Schrank von Grace gekrochen!
Callie …
Das war kein Traum!
Ich reibe mir die Augen.
Kannst du es jetzt gerade sehen?
Nein, es ist wieder verschwunden.
O Gott, wie es sich bewegt hat …
Es hat sich GESCHLÄNGELT, Jonathan.
Es hat sich zu ihrem Bett hochgeschlängelt und sie angegrinst.
Es hatte richtig scharfe Zähne.
Es war nur ein Alptraum.
Mach die Sleepycam aus und geh schlafen.
Kannst du früher nach Hause kommen?
Bitte?
Sie zerknautscht ihr Gesicht, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
Nein.
Ich hab morgen früh eine sehr wichtige Präsentation.
Ich kann jetzt einfach nicht allein sein.
Wenn ich wüsste, dass du auf dem Weg bist …
Ruf einen Freund oder eine Freundin an, vielleicht kann einer von denen vorbeikommen.
Hab ich schon versucht.
Es geht keiner ran.
Es passiert dir nichts. Übrigens …
Du bist nicht allein.
Du hast Grace.
Was, wenn ich sie nicht vor diesem Ding beschützen kann?
Ich will meine Frau nicht anschnauzen …
Aber sie ist nicht die einzige Person, die müde und gestresst ist.
Dieses „Ding“ existiert nicht, Callie.
Du hast geträumt.
Bitte bleib wach und rede noch eine Weile mit mir.
Ich hab solche Angst.
Nein. Es reicht.
Es ist vier Uhr morgens.
Du brauchst Schlaf und ich auch.
Es wird alles gut.
Das versprech ich.
Warte, Jonathan! Ich –
Ich lege auf und mache mein Handy aus.
Ich fühle mich unglaublich schuldig …
Aber meine Präsentation wird ein Reinfall, wenn ich nicht ein bisschen schlafe.
am nächsten Morgen
Ich lasse mein Handy aus, damit ich mich auf meine Präsentation konzentrieren kann.
Nach der Präsentation gehe ich schnell zu meinem Hotelzimmer zurück …
Damit ich Callie in Ruhe anrufen kann.
Ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich aufgelegt habe.
Als ich mein Handy anmache, sehe ich eine Videonachricht von ihr.
Sie hat sie kurz vor Sonnenaufgang aufgenommen.
In dem Video ist ihr Gesicht von Tränen durchzogen.
Warum gehst du nicht ran?
Bitte, Jonathan.
Es ist wieder da.
Sie legt eine Hand über ihren Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
Ich beobachte es gerade auf der Sleepycam.
Es steht über Graces Bett …
Aber es sieht nicht mehr zu ihr runter.
Es hat seinen Kopf gedreht.
Es starrt in die Sleepycam.
Es guckt mich direkt an …
Und es grinst.
Sie nimmt einen langen, zitternden Atemzug.
O Gott, dieses Grinsen.
Ich weiß, dass ich die Polizei rufen sollte …
Aber die schaffen es auf keinen Fall rechtzeitig hierher.
Ich …
Sie macht ihre Schultern breit, als wolle sie tapfer sein.
Ich geh jetzt in Graces Zimmer.
Ich muss versuchen, unsere Tochter zu beschützen.
Ich liebe dich, Jonathan.
Auch wenn du mir nicht geglaubt hast …
Ich liebe dich.
Das Video ist zu Ende.
Das ist alles.
Ich habe keine anderen Nachrichten von ihr.
Keine Anrufe, keine SMS …
Nichts.
Mit zitternden Händen rufe ich sie an …
Aber sie geht nicht ran.
Ich rufe die Polizei an und bitte sie, nach ihr zu sehen …
Und nach unserem Baby.
Während ich auf Neues von der Polizei warte, kommt mir ein Gedanke.
Vielleicht kann ich von hier aus auf die Sleepycam zugreifen …
So kann ich vielleicht sehen, was passiert.
Ich lade die Sleepycam-App herunter und melde mich an.
Einen Moment später erscheint die Übertragung aus Graces Zimmer.
Die Vorhänge sind zugezogen, das Zimmer ist in Schatten gehüllt.
Das Bett von Grace ist …
Leer.
Es fehlt jede Spur von ihr.
Und von Callie.
Ich stelle die Helligkeit auf meinem Handy so hoch wie es geht …
Ich versuche, mehr zu sehen.
Da fällt mir etwas unter Graces Bett ins Auge.
Es ist schwer zu erkennen –
Das Bild ist unscharf und immer noch so dunkel –
Aber ich glaube, ich sehe schemenhaft ein …
DING …
Es schlängelt sich unter dem Bett hervor.
Als es aufsteht und sich zu voller Größe aufrichtet …
Da ist es so groß wie ein Mensch.
Aber es kann unmöglich ein Mensch sein.
Nicht mit solchen Zähnen.
Nicht mit diesem Grinsen.
Sein Mund ist unmenschlich groß –
Ein Riesenkontrast zum Rest des Gesichts, das ansonsten keine besonderen Merkmale hat.
Es grinst, als könne es mich durch die Sleepycam sehen.
Ich schreie, obwohl ich weiß, dass es mich nicht hören kann.
Wo ist meine Frau, du Monster?
Wo ist meine Tochter??
Es grinst wieder und kriecht in den Schrank von Grace.
Ich ringe nach Luft.
Ich sollte die Polizei zurückrufen.
Ich muss sie davor warnen, was im Schrank ist!
Doch dann …
In der Ecke meines Hotelzimmers bewegt sich etwas.
Ich wirbele herum.
Die Schranktür geht langsam auf.
Aus den Schatten im Innern grinst das Ding erneut –
Es grinst mich direkt an.
Wo auch immer es Grace und Callie hingebracht hat …
Mir wird klar, dass ich kurz davor bin, auch dort zu landen.
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